Grazie, Genova: Zwei Jahre al dente (German Edition) by Bernadette Olderdissen

Autor:Bernadette Olderdissen
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
Tags: Liebe
veröffentlicht: 2014-06-12T22:00:00+00:00

„Madonna Santa!“ platzt es am Montag aus Giulia heraus, sobald ich ihr ins Blickfeld gerate.

„Davide ist wirklich nichts für dich!“ Sie packt mich von vorne an beiden Schultern.

„Er mag ganz lustig sein, aber das ist kein Freund für dich! Wie er sich am Ende vom Musical benommen hat - terribile!“

Ich mache eine wegwerfende Geste mit der rechten Hand.

„Davide ist ein Kumpel, er interessiert mich nicht weiter.“

Giulias Augen prüfen mein Gesicht, ihre Finger krallen sich tiefer in mein Schulterfleisch.

„Du hast kein Interesse an ihm, aber er! Der ist total verknallt in dich! Hast du gesehen, wie er dich anschaut?“

Wann und wo hatte Giulia Zeit und Gelegenheit, Davides Blicke zu studieren?

„Giulia! Teleeeeeeeeeeeefonoooooooooooo!“

Giulia verdreht die Augen, stürzt zum Sekretariat. Kaum ist sie am Telefon, stiehlt sich Stefania ins Lehrerzimmer; sie stellt sich dicht neben mich, ihre Lippen nähern sich meinem Ohr.

„Ich habe dich beim Musical gesehen und Giulia auch! Hast du’s überlebt?“ Sie kichert.

Überrascht sehe ich sie an. „Wo warst du denn?“

Wieder giggelt Stefania. „Ich habe euch aus der Ferne beobachtet - mein Partner und ich haben uns versteckt. Wir hatten Arsch, sie hat uns wirklich nicht gesehen!“

Diesmal gleicht das Kichern dem frühmorgendlichen Gackern eines Hahns, der sein Stimmorgan noch nicht auf Vordermann gebracht hat.

„Kennst du den Ausdruck?“

Ich schüttele den Kopf.

„Wir sagen das so: avere culo, Arsch haben. Das bedeutet, man hat Glück.“

Der Sprachgebrauch der Italiener erstaunt mich umso mehr, je mächtiger ich seiner werde; die Menge an Geschlechtsorganen und anderen kompromittierenden Körperteilen in der italienischen Alltagssprache übersteigt die Anzahl sämtlicher Pasta-Sorten. Wer ‚Arsch hat‘, hat Glück, ‚prendere per il culo‘, am Arsch packen, bedeutet dagegen ‚an der Nase herumführen‘. Der Schwanz ist generell Ausdruck von Entrüstung, Überraschung, Ärger oder neutraler Satzbestandteil. Eine ‚fica‘, wörtlich ‚Fotze‘, ist eine besonders attraktive Frau; während eine deutsche Frau sich zutiefst beleidigt sähe über diese Bezeichnung, fühlt sich eine italienische ‚fica‘ geschmeichelt - oft versucht sie sogar, sich mithilfe von aufreizender Kleidung sowie hohen Hacken den Fotzen-Status zu erarbeiten.

Mitten in meiner Sprachanalyse stürmt Giulia zurück ins Lehrerzimmer, packt Stefania beim Arm; diese erblasst, öffnet den Mund und schließt ihn wieder wie ein Fisch außer Wasser.

„Stefania, dieser Mann hat noch immer seine Rechnung für die Individualstunden nicht bekommen!“

Die Sekretärin trennt die obere von der unteren Lippe, doch Giulia verdammt sie dazu, weiter in ihrem Fisch-Endstadium auszuharren.

„Ich kann mich nicht um alles kümmern! Ich habe in zwanzig Minuten Unterricht, habe noch nichts vorbereitet, capisci?“

Auf einmal schellt mein Handy und ich wühle in meiner Tasche; der Name Natalia blinkt auf dem Bildschirm.

„Ruth, ich habe gerade mit Natalia Zwei gesprochen - wir werden am Samstagabend in die Disko gehen, Guido nehmen wir als Bodyguard mit. Kommst du auch?“

Ich überlege kurz, fühle mich geschmeichelt, dass Natalia meinen Terminkalender für so voll hält, dass sie mich schon am Montag für kommenden Samstag bucht.

„Warum nicht?“ Mit den zwei Russinnen und ihrem schrankähnlichen Freund am Samstagabend loszuziehen, ist etwas Neues. Ich höre Natalias Lächeln durchs Handy; jetzt habe ich in dieser Woche schon zwei Termine, auf die ich mich freuen kann: am Samstag den Diskoabend und davor den Stammtisch.

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